Ich kann die Uhr ticken hören

Ich kann die Uhr ticken hören.

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So leise ist es. Lange Jahre war vormittags immer mindestens ein Kind in meinem Arm. Oder an meinem Bein. Ich sehe kleine Hände voller Wasserfarben. Ich erinnere mich an die Seifenberge im Waschbecken, wenn ich mich mal schnell ums Aufräumen gekümmert habe. Der umgekippte Abfalleimer, die vollgekritzelte Wand. Es war immer etwas los. Es war bunt und anstrengend und … niemals leise.

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Jetzt sitze ich am Küchentisch und kann kaum glauben, dass diese Jahre vorbei sind. Wo ist die Zeit geblieben? Nun kommt es mir wie eine ferne Erinnerung vor, dass ich diesen Tag der Ruhe herbei gesehnt habe. Endlich nur ich. Endlich Ordnung. Endlich kein Kind, das mir beim Klo putzen helfen will.

Nun ist es soweit und ich vermisse das Kinderlachen. Das Türen knallen. Das ‚Mama, darf ich bitte, bitte, bitte vom Teig naschen?‘ Und das hunderttausendste:’Mama, spielst du mit mir?‘.

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Meine drei großen Mädchen sind in der Schule, der Jüngste im Kindergarten. Wenn ich den letzten Abschiedskuß gegeben habe, bin nur noch ich da. Das kommt mir so wenig vor. Viel zu leise. Viel zu aufgeräumt. Keine kleinen urplötzlichen Katastrophen mehr. Ich fühle mich ein wenig verloren in dieser neuen Welt. Muss mich erst noch zurecht finden. Ich frage mich, was ich zuerst putzen soll oder ob ich mich jetzt an aufwendigeres Mittagessen wagen kann. Oder ob ich einfach mal was nähen soll oder spazieren gehe?

Ganz zaghaft stehe ich an der Schwelle zu dieser neuen Zeit – vormittags ohne Kinder. Ich sehe schon das ein oder andere, das schön sein wird und das meiner Seele gut tun wird. Lange war für so vieles keine Zeit. Kein Platz. Aber jetzt – jetzt vermisse ich gerade die kleine Hand in meiner. Das zweite Frühstück mit Nutellabrot. Das spontane Kuscheln auf der Couch. Und wen soll ich jetzt beim Einkaufen bei Laune halten? Werde ich ganz abwesend den Einkaufswagen beruhigend hin und her schieben? Ein wenig neidisch auf die Mama sehen, die mit MaxiCosi unterwegs ist? Am liebsten das schreiende Baby da vorne an der Kasse auf den Arm nehmen?

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Wenn meine Kinder dann mittags wieder zu Hause sind, gebe ich ihnen eine extra lange Umarmung. Setze mich hin, höre mir all die Geschichten an. Erstaunlich, was an einem Vormittag so alles passieren kann! Ich schaue auf ihre Gesichter, präge sie mir genau ein. Ich lächle, weiß wieder einmal mehr, wie sehr ich gesegnet bin mit diesen vier wunderbaren Menschen. Ich staune auch, denn sie werden so schnell groß. Der Kleine lässt sich nicht mehr beim Schuhe anziehen helfen. Die Erstklässlerin holt ganz stolz ihre erste Hausaufgabe heraus. Meine Zweitgeborene scheint seit dem Abschiedskuß heute morgen zwei Zentimeter gewachsen zu sein und meine Große ist schon ein richtiger Teenager. Hab ich sie nicht erst mit dem Bobbycar zum Spielplatz begleitet?

Es ist wieder laut zu Hause, das Mittagessen wird ausgeteilt. Jeder spricht durcheinander, es ist lustig und nervig und schön. Ich lehne mich zurück, blicke mich um. Diese vier Menschen. Jetzt sitzen sie noch hier an diesem Tisch. Diese Zeit ist mir geschenkt. Welch Gnade. Welch Glück. Dankbarkeit erfüllt mich. Und Ehrfurcht.

Ich kann die Uhr ticken hören.

 

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10 Kommentare zu „Ich kann die Uhr ticken hören“

  1. Ich sitze hier mit Tränen in den Augen und lese diesen Text und hätte auch gerne mal so viel Zeit….Wenn meine Kinder in der Schule sind bin ich arbeiten und wenn sie nach Hause kommen bin ich oft müde und geschafft und manchmal habe ich dann noch andere Termine…..Nur wenn ich mal Urlaub habe, dann habe ich Zeit, aber dann sind meistens Ferien….

    1. Liebe Mel, es tut mir so leid zu lesen, dass freie Vormittage bei dir gar nicht selbstverständlich sind. =( Ich wünsche dir trotzdem wunderschöne, wertvolle Alltagsmomente und viel Kraft für all deine Aufgaben. Sei gesegnet, du wundervolle Mama! Deine Inka

  2. Danke Inka.mh…dein Text bringt mich zum weinen und am liebsten würde ich meine schlafenden Kinder wecken und sie schnell und inniglich kuscheln… (Was ich natürlich nicht tue,denn ich genieße ja eigentlich grade den wohlverdienten Feierabend)… Ich liiiebe meine Kinder. Anvertraute Schätze.

  3. Toller Beitrag und so wahr. Bei mir ist es nächsten Herbst so weit, dass ich freie Vormittage habe und ich bin ehrlich – ich sehne mich danach. Aber wer weiß, wie es dann ist, wenn es erst soweit ist. Bestimmt denke ich dann genau an deine Zeilen zurück. Liebe Grüße

    1. Danke, Daniela! Ich wünsch dir noch viel Kraft und schöne Alltagsmomente bis dann deine freien Vormittage da sind. Die Zeit wird wie im Flug vergehen! =) Viele liebe Grüße, Inka

  4. Liebe Inka
    Da sitze ich – mit Tränen in den Augen vor deinem Text. Volltreffer.
    „Kauft die Zeit aus, auch wenn alles klebt“ diese Weisheit hat durchaus ganz viel Wahrheit drin. WIe schnell die Zeit vergeht… Mein Ältester ist gerade auf Lehrstellensuche. WIe oft er wohl noch mit uns in die Ferien fahren kann? Ich weiss es nicht. Aber ich weiss, dass ich all die kostbaren Momente- auch wenn sie abends um 22.30 sind, auskosten will. Ganz bewusst. Denn die Uhr tickt….Aber Jesus kommt mit -auch in diese neue Lebensphase. Alles hat seine Zeit!
    Herzallerliebste Grüsse, Claudia

    1. Liebe Claudia, danke für deine Zeilen! Ja, alles hat seine Zeit! Das ist nicht immer einfach zu akzeptieren…ich wünsch dir von Herzen viel Freude und wunderschöne Momente in der neuen Familienphase! Deine Inka

  5. Dein Kommentar hat mich sehr berührt. Es ist wirklich so – ich habe ein erwachsenes Kind; die Zeit mit ihm ist so schnell vergangen, so schnell…für so viel, was ich rückblickend gern gemacht hätte, war keine Zeit mehr….; und dass ich wenig Zeit für dieses Kind hatte, als es sehr klein war, hat sich in den dann folgenden Jahren bitterlich gerächt. Dass Du diese Zeit für Deine Kinder genommen hast und nehmen konntest, auch das ist ein Segen!

    1. Danke für deinen Kommentar…ich empfinde das auch als großen Segen. Leider nicht immer! Aber ich hoffe, dass ich mehr und mehr lerne den Moment auszukosten. Viele liebe Grüße!

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