Das letzte Ultraschallbild
Heute vor 5 Wochen habe ich erfahren, dass mein Baby gestorben ist.
Ich habe in den letzten Wochen viel nachgedacht und möchte einige meiner Gedanken aufschreiben.
– Mir war noch nie so klar, wie verletzlich das Leben ist. Von einer Sekunde auf die nächste werden Hoffnungen zerstört, Träume zerplatzen, Herzen hören auf zu schlagen. Es hat mich anfangs sehr verstört mit dem Tod so intensiv konfrontiert zu sein und zu sehen, wie schnell alles vorbei sein kann. Auf der anderen Seite hat es in mir eine ganz neue Dankbarkeit wachsen lassen für meine drei gesunden, quietschlebendigen Mädchen. Es war für mich immer ein Wunder, wenn ich nach der Geburt mein Baby ansah und die Finger zählte, die kleine Nase bewunderte, die perfekt geschwungene Ohrmuschel bestaunte. ‚Alles dran‘, hab ich mir dann immer gedacht. Mir war aber nicht bewusst, was für ein unfassbares Meisterwerk ich in Händen halten darf. Was für eine Gnade.
– Ich kann noch immer kaum glauben, wie viele Frauen sich mir gegenüber geöffnet haben und mir anvertrauten, dass sie auch schon ein Baby verloren haben. Für jede einzelne bin ich zutiefst dankbar. Ich habe Geschichten gehört und gelesen von Frauen, deren Baby kurz vor dem Entbindungstermin gestorben ist. Oft hat man den Grund für den Tod des Kindes nicht herausgefunden. Im Internet gibt es ganze Foren nur über das Thema Fehlgeburt und Totgeburt. Frauen schreiben verzweifelt von ihrer Last, von ihren Tränen und dass sie sich mit ihrem Schmerz alleine fühlen.
Ich bin so dankbar für die gerade erst entstandene tiefe Verbundenheit mit anderen Frauen, die genau wissen, was ich durchmache. Das ist ein Gefühl von ‚Schwesternschaft‘, das ich so noch nicht erlebt habe. Davon wünsche ich mir mehr! In jeder Lebenslage.
– Als furchtbarer Gegensatz zu dieser Trauer um eine Fehlgeburt stehen dazu die Tausenden von Babys die jeden Tag weltweit genau in diesem ersten Trimester abgetrieben werden. Ich hatte schon immer eine tiefe Abneigung gegen Abtreibung, aber jetzt wird mir ganz schlecht wenn ich nur daran denke. All die Frauen, die sich gegen ihr Kind entscheiden, scheinen nicht zu ahnen welch tiefe Bindung schon zu ihrem Baby besteht. Und das der Schmerz um ihre verlorenes Kind wie eine tickende Zeitbombe in ihrer Seele festsitzt und irgendwann explodiert. Es wird den Frauen, die eine Abtreibung wünschen, kaum erklärt, was da seelisch in ihnen vorgeht. Dass eine tiefe Bindung gekappt wird. Und dass der Schmerz sie früher oder später sie überwältigen wird. Doch nicht nur das. Wie kann man Leben einfach so wegwerfen? Wie kann man sich anmaßen über Leben und Tod zu entscheiden? Ich möchte mich in Zukunft noch viel deutlicher und lauter gegen Abtreibung aussprechen.
– Natürlich steht der Gedanke im Raum ob wir es noch einmal wagen…traue ich mich nochmal schwanger zu werden? Ich habe noch keine endgültige Antwort gefunden – aber einwas ist mir so wichtig geworden: mein Muttersein ist kein oberflächlicher Zeitvertreib, meine Kinder sind nicht das i-Tüpfelchen einer Karriere. Ich bin Mutter, weil Gott mich dazu berufen hat. Und die Frage, ob wir ein viertes Kind wollen oder nicht, ob es in unsere Pläne hineinpasst oder nicht, ob ich genügend Mut habe oder nicht – die soll sich mir gar nicht stellen. Ich will Gott fragen: ‚Möchtest du, dass wir noch ein Kind bekommen?‘ ‚Was verherrlicht dich in dieser Situation am meisten?‘
Das ist sicherlich eines der wichtigsten Dinge, die ich in den letzten 5 Wochen gelernt habe: dass es nicht in erster Linie um mich geht. Es ist eine schmerzvolle Situation und viele, viele Tränen sind geflossen und werden noch fließen – aber es ist so heilsam, so befreiend, wenn man sagen kann: ‚Dein Wille geschehe!‘ Die Frage nach dem Warum würde mich innerlich zerfressen, ich würde bitter werden. Aber wenn ich wie ein Kind voller Vertrauen akzeptiere, was passiert ist – weil Er keine Fehler macht! – dann kann ich ruhig werden und dann kommt der Friede in mein Herz, der allen Verstand übersteigt.
Und so staune ich 5 Wochen später über die Güte meines Gottes. Unzählige Male ist Er mir mit tiefer väterlicher Liebe begegnet. Eine besondere Begebenheit möchte ich noch aufschreiben:
Als wir in Amerika waren, haben wir viele Stunden auf dem Highway verbracht. Entlang dieser Schnellstraßen sind viele riesengroße Plakatwände aufgebaut, auf denen Werbungen für alles mögliche zu sehen sind. Die Werbungen wiederholen sich immer wieder, aber ein Plakat, das ich auch nur ein einziges Mal gesehen habe, ist mir besonders aufgefallen: Auf diesem Plakat war ein alter Holzzaun zu sehen und ein Junge, der mit dem Rücken zum Betrachter über diesen Holzzaun kletterte. Das Bild vermittelte so viel Harmonie, so viel Frieden. So stellt man sich ein gesundes, glückliches, freies Kind vor! Daneben stand in großen Buchstaben: ‚Du hast alles in mir geschaffen und hast mich im Leib meiner Mutter geformt.‘ (Psalm 139,13) Mir kamen sofort die Tränen, denn ich wusste, dass mich Gott ganz konkret angesprochen hat. Es war mir so, als wäre dieser Junge mein Kind, der jetzt fröhlich und unbeschwert im Himmel spielt und klettert. Und Gott erinnerte mich durch den Vers daran, dass Er der Schöpfer meines Kindes ist und Er gut auf es aufpassen wird.
Ich darf loslassen.
quietly you slipped away
into heaven’s perfect peace
where you now
play on wide meadows
with all the other children
who left too early
to be embraced
Foto: Inka