Krippe

Gebt den Kindern Zeit!

Heute früh hatten wir jenes Szenario, das wir jeden Morgen haben. Von Montag bis Freitag. Dieses Szenario heißt ‚Wir müssen bis halb 9 im Kindergarten sein‘ und beinhaltet, dass mindestens ein Kind von mir ungeduldig die Treppe hoch oder runter gezogen werden muss und dass beim Frühstück keine Zeit bleibt. Es beinhaltet, dass das Zähneputzen ’schnell, schnell‘ gehen muss und beim Jacke anziehen irgendjemand der Geduldsfaden reißt. Diese eineinhalb Stunden zwischen 7 und halb 9 machen mich fertig und ich staune hinterher jedesmal, dass der Tag eigentlich noch gar nicht richtig angefangen hat. Wenn ich aus dem Kindergarten rauskomme, bin ich schweißgebadet und wünsch mir das Wochenende herbei.

Meine jüngste Tochter, dreieinhalb Jahre alt, HASST diese Rumtreiberei am frühen Morgen und will sich vor dem Frühstück eigentlich erstmal für eine halbe Stunde ins Spielzimmer verziehen. Aber nein, wir müssen uns anziehen und Haare kämmen! Sie ist auch nicht so der Frühstücksesser – am Wochenende so ab 10 wird mal so nebenbei eine halbe Semmel mit Nutella verdrückt, aber ohne großen Enthusiasmus. Irgendwie tut sie mir echt leid, wenn sie da vor ihrer Müslischüssel sitzt und mehr Milch danebenkleckert als in den Mund gelangt und damit natürlich ihre Kleidung einsaut. Was mich wiederum zur Weißglut bringt, weil wir KEINE ZEIT zum Umziehen haben.

Zu diesem Zeitpunkt ist meine Älteste (7 Jahre) schon längst außer Haus. 2. Klasse Grundschule. Sie wird so gegen 13 Uhr nach Hause kommen und um 14 Uhr werde ich sie dazu drängen müssen mit den Hausaufgaben anzufangen. Sie ist ein wirklich schlaues Mädel, meine Große, aber nach 5 Stunden Schule hat sie keine große Lust auch noch 1 1/2 Stunden Hausaufgaben zu erledigen. Was machen die eigentlich die ganze Zeit in der Schule, frage ich mich, dass die Lehrerin es für notwendig erachtet den gefühlten gesamten Unterrichtsstoff als Heimarbeit aufzugeben? Ist das schon der Gymnasiumdrill? Irgendwie werden wir uns durch die Aufgaben durchwurschteln und am Ende sind wir beide erledigt. Kopfrechnen war noch nie meine Stärke und das hab ich anscheinend weitervererbt. Um 16 Uhr waren wir gestern endlich fertig und Joela meinte in der letzten Zeit öfters sehr frustriert: ‚Ich hab keine Zeit mehr zum spielen!‘ Und das ist wirklich so! Dieses zeitvergessene, in eine andere Welt abgetauchte Spielen – dafür hat sie keine Zeit mehr. Nach den Hausaufgaben geht es raus an die frische Luft, das ist auch wichtig, ja, aber ich wünschte ich würde meine Tochter öfter mit ihren Playmobilsachen hantieren sehen. 2. Klasse und keine Zeit mehr zum spielen. Das macht mich sprachlos.

Ich bin ja sowieso schon eher abgeneigt irgendwelche extra Termine für meine Kinder einzuplanen – der Gang zum Kieferorthopäden ist schon immer eine kleine Katastrophe (‚wir wollen aber spielen!!‘). Wenn mich meine Kinder nach dem Mittagessen fragen, ob für den Nachmittag irgendetwas geplant ist und ich sage ‚Nichts!‘, dann ist die Freude groß. Und ich glaube, das liegt daran, dass Kinder vor allem Zeit brauchen. Zeit zum spielen, Zeit zum nichtstun, Zeit zum draußen herumströmern, Zeit zum basteln, Zeit zum kuscheln mit Mama. Zeit, Zeit, Zeit. Für Kinder gibt es wohl nichts schlimmeres als zu irgendeinem Termin zu hasten, die genervte und gestresste Mama im Rücken, weil wir ja wie immer zu spät dran sind.

Ich bin immer am Überlegen, wie ich meinen Kindern im Alltag mehr Zeit geben kann! Ich hab z.B. gemerkt, dass das Küche aufräumen am Nachmittag ein großer Stressfaktor für uns alle ist. Ich will es erledigt haben, die Kinder brauchen aber alle nach dem Vormittag weg von zu Hause Aufmerksamkeit. Gut, jetzt bleibt die Küche eben bis zum Abend ein Sauhaufen – wenn das meinen Kindern Zeit gibt, soll mir das recht sein. Ich will mich auch nicht mehr in der Früh so stressen lassen, von wegen bis halb 9 im Kiga. Wenn man ein Baby hat, das gerne noch mal volle Kanne in die Windel reinmacht, wenn alle schon fertig angezogen sind, kann man sowieso mit Sicherheit davon ausgehen, dass wir zu spät kommen. Aber ist das so schlimm?  Wir sind zwar in der Regel mit die letzten, die im Kiga eintrudeln, aber wenn das bedeutet, dass ich 5 Minuten mit meiner Jüngsten kuscheln konnte und ich kein einziges Kind entnervt angefahren habe, dann soll mir das recht sein! Und warum nicht mal öfters ein langes Wochenende einlegen und den Vormittag im Schlafanzug verbringen? Gebt den Kindern Zeit…

Der Trend hält genau dagegen. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was ein dreijähriges Kind durchmacht, wenn es jeden Morgen um halb 7 bei der KiTa abgeliefert wird und erst kurz vor Schluss irgendwann am späten Nachmittag abgeholt wird. Eine Arbeitskollegin meines Mannes lobte die Krippe, wo sie ihr Kind unterbringt, weil sie es auch nehmen, wenn es Fieber hat. Ganztagsschulen sind ja momentan auch groß im Kommen. Die Mamas haben keine Zeit mehr für ihre Kinder und die Kinder haben keine Zeit mehr zum Kindsein. Das ist ein schrecklicher Teufelskreis und ich will da nicht mitmachen.

Ich will meinen Kindern Zeit geben, sie so lange wie nötig von unnötigem Terminstress fernhalten. Nein, mein Kinder lernen noch keine Gitarre und gehen tatsächlich in kein Kinderturnen. Dafür klimpern sie schräg auf meinem Klavier herum und wir singen lustige Lieder dazu. Und der Kletterbaum vor unserem Haus ist ein wahres Kinderparadies! Meine Kinder sollen ihre Kindheit genießen dürfen. Das wünsche ich ihnen von ganzen Herzen.

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Zitat

Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview auf die Frage, wie sie denn trotz vieler Belastungen und auch vieler Anfeindungen immer noch so gut gelaunt sein könne:

Das wisse sie selbst nicht, ihr Frohsinn sei wohl angeboren, und “vielleicht bin ich so geworden, wie ich bin, weil meine Eltern mich nicht in eine Krippe geschickt haben … das hat mein Vater, der Pastor, nicht geduldet.“

Quelle: Cicero 5/2009, S.63

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