Schmerz

Adventsschmerz

Gestern haben wir die erste Kerze angezündet. Auf dem Adventskranz, der so gar nicht wie unser Adventskranz aussehen mag. Es fehlen die Boxen voller Weihnachtsdeko, die gerade auf einem Dachboden in Deutschland stehen. Unsere Wohnung hab ich ein wenig weihnachtlich gestaltet – aber es fühlt sich trotzdem leer an. Nicht so heimelig, nicht so gemütlich wie all die Weihnachtszeiten davor.

Im Internet habe ich Lebkuchen und Dominosteine bestellt. Der süße Geschmack im Mund, der nach Heimat schmeckt und die alten deutschen Weihnachtslieder in der Apple Playlist treiben mir die Tränen in die Augen. Was für ein Jahr liegt hinter uns.

Es passt irgendwie zu allem Erlebten, dass dieses Weihnachten so anders ist. Sich so leer anfühlt. Die vergangenen Wochen habe ich WhatsApp Nachrichten von lieben Freunden erhalten, die voller Schmerz waren. Eine Musikerin darf ihre Tochter nicht beim Konzert auf dem Klavier begleiten, weil sie ungeimpft ist. Die Nachfrage einer anderen Freundin, die ans Auswandern denkt, weil ‚es eng wird‘. Der Kontakt auf Facebook; auch hier steht die Überlegung im Raum Deutschland zu verlassen. Dann die lange Sprachnachricht, wo mir erzählt wird, dass eine Veranstaltung, in die soviel Liebe und Leidenschaft investiert wurde, abgesagt werden musste. Eine meiner besten Freundinnen darf beim Schlittschuhlaufen der Schulkasse nicht beim Schnürsenkel binden helfen; sie ist ungeimpft. Noch eine Sprachnachricht von einem guten Freund, dessen Arztpraxis überwältigt ist mit Menschen, die in der letzten Zeit psychische Probleme entwickelt haben. Deutschland ist mir so nahe durch die vielen persönlichen Nachrichten, die Bilder im Internet. Die dunklen Hütten der Weihnachtsmärkte zeichnen ein ähnliches Bild, wie unser karger Adventskranz. Da ist Leere.

Hier in Florida dagegen brummt das Leben. Der Governor hat eine Impflicht verboten und klagt gegen das Impfmandat aus Washington. Die Menschen haben keine Angst, es werden kaum Masken getragen, die Restaurants sind voll. Die Kinder auf unserer Schule dürfen ganz normal Unterricht erleben, mit Spaß im Pausenhof, ohne Masken, ohne Hygienezwang. Manchmal komme ich nicht ganz hinterher, wie es hier so anders sein kann. Im September waren die Inzidenzen in Florida sehr hoch, hämisch zeigten die Medien mit dem Zeigefinger auf den rebellischen Bundestaat. Mit einer kostenlosen Antikörper Behandlung wurden die Krankenhäuser entlastet und mittlerweile hat Florida die niedrigsten Zahlen in ganz USA. Die Medien schweigen.

Seit März 2020 hängt mir dieser Satz in Kopf und Herzen: Es ist nicht so, wie es scheint. Und der Gedanke: wenn alle in die gleiche Richtung rennen, will ich stehen bleiben und nachdenken. Nachfragen. Und dann  – wenn ich nach allem Nachfragen, Hinhören und Hinsehen keinen Frieden habe – in entgegengesetzter Richtung laufen. Da befinde ich mich seit Monaten, es fühlt sich oft einsam an, immer wieder frage ich mich, ob ich nicht doch mit meiner Wahrnehmung falsch liege. Ich harmoniebedürftiger Mensch halte den Zwist und die Uneinigkeit, die verbalen Angriffe auf den sozialen Medien kaum aus. Aber mitgehen und abnicken kann ich nicht. So vieles macht keinen Sinn.

Es zerreißt mich innerlich fast, ich weine viel. Ich merke, wie die Kraft nachlässt und ich Rückzug brauche. Ich entscheide mich Anfang des Jahres 21 nicht mehr so viel Stellung zu beziehen. Es scheint nichts zu bringen, mir tut der Kopf weh vom ständig gegen Wände rennen. Die Welt dreht sich unaufhörlich weiter und mit ihr werden menschengemachte Lösungen gewälzt, die wie eine Lawine auf uns zurollen. Alles scheint so unaufhaltbar. So außer Kontrolle. Was soll da meine kleine Stimme ausmachen?

Es ist nicht so wie es scheint. Es ist doch nur ein Stück Stoff. Es sind doch nur ein paar Wochen. Kinder halten das schon aus. Es ist doch nur eine Impfung, nein, zwei! Oder doch mehr. Wen kümmert das schon. Hauptsache, wir kommen hier raus aus diesem Elend, aus diesem Teufelskreis – im wahrsten Sinne des Wortes. ‚Die Liebe wird in vielen erkalten‘ – das kommt mir immer wieder in den Sinn. Wie eigenartig: da wird sich aus Nächstenliebe geimpft, aber die Nächstenliebe gilt nur den ebenfalls Geimpften. Der Gedanke steht im Raum, dass Ungeimpfte nicht das Recht auf Behandlung im Krankenhaus haben sollen. Selbst schuld. Wie einfach und schwarz weiß das Leben plötzlich ist. Da hört die Nächstenliebe auf! Es liebt sich so leicht, was ähnlich ist.

Und es geht in beide Richtungen. Die Gräben sind tief. Manche Ungeimpfte verachten die, die ’schwach geworden sind‘. Die Leichtgläubigen, die Verführten. Feindbilder, wohin man blickt.

Und jetzt ist Advent. Und ich sitze vor meinem Adventskranz, dem kahlen, und schaue auf die eine kleine Flamme. Es scheint so hoffnungslos, so aussichtslos, so verzwickt. Wie soll Versöhnung stattfinden? Wie können wir wieder aufeinander zugehen? Soll Ausgrenzung, Druck, Häme, Erniedrigung unsere Welt prägen? Oder hat genau das unsere Welt schon immer geprägt – jetzt plötzlich sehen wir es nur so deutlich?

Am Anfang der Pandemie hatte ich es noch so deutlich in mir: das ist keine Zeit, den Kopf in den Sand zu stecken. Da ist Hoffnung. Wie diese kleine Flamme. Die Erinnerung an Geborgenheit in einem Wohnzimmer mit Tannenbaum, Duft nach Plätzchen und Kerzen, leiser Weihnachtsmusik. Christ, der Retter ist da. Die Dunkelheit muss fliehen.

Ich glaube, dass keine politische Lösung diesem Chaos ein Ende bereiten wird. Ich glaube, dass keine 2G oder 3G Regel etwas bewirken kann oder ein Lockdown Erleichterung bringt. Ich persönlich glaube auch nicht, dass die Impfung die Antwort ist (wobei ich niemanden verurteile, der sich für die Impfung entschieden hat!). Und erst Recht ist es kein guter Weg die Gesellschaft zu spalten und gegeneinander aufzubringen. Ich glaube, dass wir Licht brauchen. Das Licht Jesu. Wir brauchen geistliche Klarheit, einen Fokus auf den Retter, ein Loslassen von Vergangenem, ein Ja-sagen zu allem Neuen. Wir brauchen Demut, ein weiches Herz, offene Ohren. Wir brauchen den Heiligen Geist, der unsere Herzen und unsere Gedanken lenken kann, wir brauchen Raum, wo genau das geschehen kann. Wir brauchen den Mut wegzusehen von allem Spaltenden und hinzusehen zu dem, was uns vereint. Wir brauchen Rückzug und Ruhe von all dem Lärm der Welt und himmlische Musik, um uns daran zu erinnern, worum es eigentlich geht. Wir brauchen Jesus. Es ist so simpel. Es ist so klar.

Je mehr ich auf meinen leeren Adventskranz blicke, desto mehr verstehe ich: ich musste leer werden. Ich musste an diesen Punkt in meinem Leben kommen, wo mir – wieder einmal – sehr bewusst wird, dass ich Jesus brauche. Mehr als alles andere. Ja, ich trauere so manchem hinterher, was wir in Deutschland verkauft und weggeben haben und da ist dieses Gefühl der Leere und Orientierungslosigkeit. Und ich vermisse die Zeit vor 2020, wo das Leben geordneter war und ich mich dann und wann der Illusion hingeben konnte, ein Stück Kontrolle zu haben. Heute morgen habe ich in mein Tagebuch geschrieben: Jetzt ist ein guter Moment zu erleben, dass Jesus genug ist.

Die Welt scheint am Abgrund. Aber Jesus! Mein Herz ist leer. Aber Jesus! Ich weiß nicht weiter. Aber Jesus!

Egal, wo wir stehen. Egal, welche Auffassungen wir über die aktuelle Situation haben. Wir brauchen Jesus. Und Jesus bringt uns zusammen. Jesus ist unser Dreh-und Angelpunkt. Lasst uns zusammenkommen. Miteinander beten. Über Gräben steigen. Hoffnung säen. Zaghaft wieder voran gehen. Die erste Kerze entzünden.

Adventsschmerz Read More »

‚Ein ganzes halbes Jahr‘

Ich habe das Buch von Jojo Moyes ‚Ein ganzes halbes Jahr‘ gelesen und Rotz und Wasser geheult. Bis zur letzten Seite habe ich inständig gehofft, dass Will Traynor sich für das Leben entscheidet, für Lou. Aber er wählt den Weg des Sterbens, nimmt sich das Leben.

images
Bildquelle: t3.gstatic.com

Dass die Geschichte von Lou und Will so ausgeht ist traurig. Man kann ihn aber fast verstehen: er, der Lebemann, ist seit einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt, hat Schmerzen, ist immer auf Hilfe angewiesen. Er muss mit ansehen, wie seine Exfreundin seinen besten Freund heiratet. Er sagt diesen Satz: ‚Das ist nicht mehr mein Leben.‘ Fremdgesteuert vegetiert er dahin. Lou, die erst einfach nur Angestellte der Familie ist und sich um ihn kümmern soll, wird bald zur Freundin, dann zur engen Gefährtin. Ihr Ziel ist es, ihn aus seinen Depressionen heraus zu reißen, ihm wieder Freude am Leben zu geben. Obwohl sie sich ineinander verlieben und sie für ihn alles aufgeben würde, entscheidet er sich für den Tod und will ihr damit Freiheit geben. Er vermacht ihr Geld und eine Anleitung, wie sie endlich ihr Leben in den Griff bekommen soll und aus der muffeligen Kleinstadt, in der sie lebt, herauskommen kann.

3549658242_8da95105b1_b

Gestern saß ich mit meinem Mann im Kino, um mich herum Taschentuchgeknister, leises Schluchzen. (Witzigerweise war es eine Vorstellung nur für Frauen, das hat mein Mann beim Ticketkaufen nicht gemerkt – er war aber sehr mutig und hielt den Hormonüberschuss im Kinosaal sehr gut aus). Nachdem ich mal gehört habe, dass der Evangelist Ben Fitzgerald nach einem Kinofilm spontan gepredigt hat, war ich ernsthaft am Überlegen. Dieser Film wirft so viele Sehnsüchte, Nöte und Fragen auf, dass es ein einfaches wäre, da anzuknüpfen. Allerdings lag meinem Mann viel daran, den Saal recht schnell zu verlassen, nachdem das Licht wieder anging. Verständlich. Und so mutig zu predigen wäre ich wahrscheinlich sowieso nicht gewesen…

Das Weinen im Saal zeigte mir wieder einmal mehr, wie sehr Frauen sich nach Liebe sehnen. Wie empfänglich sie sind für so eine Love Story. Wie zart ihre Seelen, wie zerbrechlich ihr Herz. Sie träumen von einem Mann, der sich für sie hingibt. Der sie so sieht, wie sie sind. Der ihre Träume versteht und ihr hilft, sie zu verwirklichen. Der sie zum lachen bringt. Der sie vor sich stellt, ihre Bedürfnisse über seine. Me before you, so lautet der englische Originaltitel des Films. Ich stelle mich vor dich. Ich passe auf dich auf. Ein Herzensschrei. Eine Sehnsucht.

Unwillkürlich frage ich mich wie die Geschichte ausgegangen wäre, wenn Jesus eine Rolle gespielt hätte. Wenn Will erkannt hätte, dass sein Leben noch immer einen Wert hat. Dass es zwar nicht mehr so aussieht, wie er sich immer erträumt hat und wie er es vor dem Unfall gelebt hat, aber dass Gott der Autor seiner Geschichte ist und selbst aus Leid und Schmerz Schönes und Gutes schaffen kann. Will hätte Lou vielleicht als großes Geschenk annehmen können, voller Staunen über ihre Liebe zu ihm, wo er doch nicht viel zu geben hat. Ja, da wären die Schmerzen gewesen, die ständigen Infekte, die Medikamente. Aber Jesus bringt Hoffnung in jedes Dasein, wie z.B. Samuel Koch so eindrücklich vorlebt.

Das Leben legt uns Hindernisse in den Weg und so vieles läuft nicht so wie geplant. Die großen und kleinen Katastrophen des Alltags lähmen uns oft ganz genauso, wie der Unfall Will Traynor. Wir weigern uns unsere jetzige Situation anzunehmen, trauern zerbrochenen Träumen hinterher. Aber Jesus kann mit unglaublicher Veränderungskraft in unser kaputtes Leben hineinkommen. Er nimmt die Bruchstücke und fügt ein wunderschönes Mosaik zusammen, wenn wir ihn nur lassen. Es tut oft weh abzuwarten, das Bild noch nicht zu erkennen. Aber wenn wir Glauben an die Güte Gottes haben, an das, was in der Bibel über Jesus steht, über die Treue Gottes, die jeden Morgen neu ist, dann ist jede Herausforderung machbar.

21675488409_25d131e3cf_b

Und die Frauen mit dem Loch im Herzen, mit der Sehnsucht nach Annahme, die Lous dieser Welt, die ihren Platz nicht finden, die Männer an ihrer Seite haben, die sie nicht ernst nehmen, die sie und ihre Träume übergehen. Die verletzt sind, misshandelt, gedemütigt, allein gelassen. Der einzige der die Wunden heilen kann, ist Jesus. Der einzige, der wirkliche Erfüllung schenken kann, ist Jesus. Kein Mann dieser Welt, kein Will Traynor, kein noch so guter, liebevoller, aufmerksamer, selbstloser Mann kann das Herz einer Frau komplett ausfüllen. Das kann nur Jesus.

27163828454_dc44ac972a_b

Und das wünsche ich den Lous und Wills dieser Welt: dass sie das Leben, wie schmerzvoll es auch sein mag, als lebenswert und wertvoll erachten. Dass sie in ihrem Leid Trost erfahren dürfen. Dass sie erfahren dürfen, was für großartige Pläne Gott für ihr Dasein hat. Dass sie ihre Hoffnung in dem finden, der das unfassbare versprochen hat:
Leben in Fülle zu schenken.

 

photo credits: photo credit: <a href=“http://www.flickr.com/photos/38991571@N00/21675488409″>Exile</a> via <a href=“http://photopin.com“>photopin</a> <a href=“https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/“>(license)</a>
photo credit: <a href=“http://www.flickr.com/photos/24014236@N07/3549658242″>empty</a> via <a href=“http://photopin.com“>photopin</a> <a href=“https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/“>(license)</a>
photo credit: <a href=“http://www.flickr.com/photos/132252613@N08/27163828454″>Un bokeh de coquelicot</a> via <a href=“http://photopin.com“>photopin</a> <a href=“https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/“>(license)</a>

 

‚Ein ganzes halbes Jahr‘ Read More »

Nach oben scrollen