Pandemie

Alles anders

Alles fühlt sich anders an. Natürlich – wir leben seit einem Jahr auf einem anderen Kontinent. Finden uns in einer bekannten und doch fremden Kultur zurecht. Jeder Tag ist noch immer eine Herausforderung Land einzunehmen, sich heimisch zu fühlen, anzukommen, zurecht zu kommen – mit dem Neuen. Dem Anderen.

Es sollen Wurzeln wachsen in neuer Erde. Und es ist mühsam. Es ist so anders, als ich es mir vorgestellt hatte.

Wem geht es ähnlich? Man muss ja keinen internationalen Umzug machen, um sich wie auf einem anderen Planeten zu fühlen. Was ist nur alles in den vergangenen zwei Jahren passiert? Alles steht Kopf, was selbstverständlich schien ist schon lange nicht mehr verlässlich. Unsere Fundamente wackeln.

Das ist das Thema, mit dem ich mich immer wieder rumschlage. Ich würde es gerne ad acta legen. Ich würde gerne einfach weitermachen. Ich würde gerne mein altes Leben zurückhaben, wo alles so vorhersehbar schien. Ich kann nicht anders als mich immer wieder mit dem Neuen konfrontieren zu lassen, mich einer Welle ausgeliefert zu fühlen, die mich erbarmungslos immer weiter von dem bekannten Ufer wegträgt – hinaus auf ein Meer, das so bedrohlich auf mich wirkt.

Alles ist anders und ich versuche mich in dieser Andersartigkeit zurecht zu finden und meinen Platz neu zu erobern. Und ich merke dabei, dass ich mich in all den Veränderungen selbst ein Stück weit verloren habe – wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus? Was ist mir wirklich wichtig? Worum geht es?

Eigentlich eine Gnade. Mitten im Leben angehalten zu werden und solch fundamentalen Fragen gestellt zu bekommen. Wie gut, alles auf den Prüfstand zu stellen und genau hinzusehen, wo mich sonst alltägliche Geschäftigkeit einfach weitergetrieben hätte.

Ich schaue also auf mein Leben – nehme neue Perspektiven ein, versuche meine Prioritäten zu ordnen. Versuche meinem Leben einen festen Platz zu geben in dieser verrückten Welt.

Und ich merke dabei: Gott gibt mir einen neuen Rhythmus vor. Es geht ganz viel nach innen, nicht so sehr nach außen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht aus Gewohnheit die ‚alten‘ Sachen mache und mich vielmehr leeren lasse und Neues empfange. Das ist die große Herausforderung für uns alle: Das Loslassen, obwohl das Neue noch nicht sicht- und greifbar ist. Diese eigenartige Mitte, das zwischen- den-Stühlen stehen auszuhalten.

Ich merke, wie ich reflexartig das Alte wiederbeleben möchte, wie meine Füße den ausgetretenen Pfad suchen. Und wenn ich dann die bekannten Wege gehe, fühlt es sich eigenartig leer und leblos an. So wie ein vorher prall gefüllter Luftballon, dem nun die Luft ausgeht. Habe ich den Mut stehen zu bleiben und auf das zu warten, was Gott vorbereitet? Oder bleibe ich doch in dem hängen, das mein Leben jahrelang bestimmt und geprägt hat? Was kann ich mitnehmen in diese neue Ära, was muss zurückbleiben?

In all den Veränderungen ist es so wichtig, dass meine Sinne geschärft werden für das, was Gott tun möchte. Ich will ganz sensibel werden für das Werken und Reden Gottes. Mehr als jemals zuvor. Wie leicht lasse ich mich ablenken! Wie leicht lasse ich mich entmutigen!

Wie schwer und verwirrend diese Zeit auch sein mag – sie schafft einen Raum für neue Dimensionen des Glaubens.

Eine neue Tiefe.

Eine neue Ernsthaftigkeit.

Eine neue Ehrfurcht. 

Ein neues Level von Hingabe.

Ein neues Verständnis von Gottes Wirken.

Eine innere Leere, die nur Gott füllen kann.

Ein neues Ausrichten.

Das Neue, das Andere macht uns bewusst, wie sehr wir Jesus brauchen. Wie wenig wir auf unsere Kraft vertrauen können. Wie wenig wir eigentlich wissen. Wie schnell sich alles ändern kann und wie töricht menschliche Weisheit sein kann. Diese Welle, die so viele von uns gerade vor sich herschiebt – möge sie uns die Arme Gottes treiben. Möge sie in uns eine neue Liebe entfachen für den, der auf dem Wasser geht. Mögen wir unseren Stolz in diesem Meer verlieren und uns ganz neu dem Willen Gottes unterordnen. Mögen wir nicht bitter und hart werden, sondern weich und formbar.

Jesus, ich schaue auf dich. Ich warte auf dich! Du bist konstant in allen Veränderungen. Du bist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit. Du bringst Ordnung in mein Chaos. Du bist mein Ziel, mein Wegweiser, mein Weg.

Ich folge dir auf diesem unbekanntem Pfad. Geh du voran!

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Kein Fels in der Brandung

Letzte Woche ist am Dienstag urplötzlich unser süßer Kater Peanut gestorben. Er saß vor der Haustüre, genoss die Sonne, ließ sich von meinem Mann streicheln und schnurrte. 10 Minuten später entdeckt mein Sohn ihn ein paar Schritte weiter – tot. Einfach so.

Als ich meinen Sohn schreien hörte und mein Gehirn dann langsam – wie in Zeitlupe – die Bilder, die ich sah und meine Gedanken vernetzte und die Tatsache in mein Herz sackte, hat es tief in mir drin ‚klick‘ gemacht. Irgendwas ist zerbrochen, irgendwas hat so furchtbar weh getan, dass ich das Gefühl hatte, ich halte das einfach nicht aus. Als ich Peanut liegen sah, hat es mich so tief erschüttert, dass ich über meine Trauer erschrocken bin.

Peanut war unser Wohlfühlkater. Er hat uns immer zum Lachen gebracht. Hat sich lustig mitten in den Flur gelegt und jeder musste über ihn drüber steigen. Das hat ihn überhaupt nicht gestört. Er hat meinen Mann jeden Morgen begrüßt und hat sich ausgiebig kuscheln lassen. Er hatte einen herrlichen Schnurrton, tief, wie ein Bariton, der unglaublich beruhigend wirkte.  Wenn er schlief, hat er manchmal geschnarcht und ich hab immer ein wenig gebraucht, um das Geräusch zu lokalisieren. Wir haben Peanut im April 2020 gekauft, zum Geburtstag unserer ältesten Tochter. Wir wollten ihr ein Tier schenken, das sie emotional unterstützt und ihr ein Gefährte wird. Und Peanut tat genau das und wurde genau das. Er war für uns alle in Zeiten von Quarantäne und Lockdown ein Freudenbringer. Als kleiner Kater, als er durch’s Wohnzimmer geflitzt ist und ich schon Sorge hatte, dass er diese Energie für immer bei behalten würde und als großer Kater, als er mich an den Kater Mog aus Judith Kerr’s Büchern erinnerte.

Als ich Peanut leblos vor unserer Haustüre liegen sah, da war es so, als wäre mir diese Freude gestohlen worden. Diese Lichtblicke im Alltag. Dieser lustige Garfield-Kater, dieses entspannte, beruhigende Tier. Es war ein Schlag in die Magengrube und dieses Erlebnis ließ mich auf wackligen Beinen zurück.

Warum das auch noch, Gott? Nach allem, was wir aufgeben haben, losgelassen haben – warum unser Kater? 

Die letzten Monate habe ich das Gefühl Gott nimmt mir Stück für Stück jede Sicherheit weg. Oder er lässt es zu, dass es mir weggenommen wird. Nicht gewaltsam oder gemein; ich spüre einfach, wie er es einfordert; ähnlich wie ich meinen Kindern ihre Handys von Zeit zu Zeit wegnehme, dass ich ihre volle Aufmerksamkeit haben kann. Oder weil ich weiß, es tut ihnen gut, mal nicht auf den Bildschirm zu starren. Ich spüre in all dem Loslassen-müssen Gottes Vaterliebe und gleichzeitig bin ich wütend und frustriert und unsicher. Je mehr ich aufgebe und loslasse, desto weniger weiß ich, wer ich eigentlich bin. Was mich ausmacht. Wo ich hingehöre. Dass unser Kater Peanut nun auch auf die lange Liste gehört von Dingen, die ich in den letzten Monaten verloren oder aufgegeben habe, fühlt sich ungerecht an. Unfair. Unnötig.

Ich spüre, wie mich dieser Verlust ins Wanken gebracht hat. Nichts ist sicher. Von jetzt auf dann kann alles anders sein. Ist das nicht das Motto unserer Zeit? Das Leben kommt in ungeordneten Wellen auf mich zugerollt, manchmal schaffe ich es meinen Kopf über Wasser zu halten, doch die meiste Zeit gehe ich kurz unter, schlucke Wasser, muss husten und es braucht ein wenig, bis ich wieder genügend Luft in den Lungen habe. Meine Füße verlieren ständig den Halt, der Boden ist uneben, die Wellen lassen mich immer wieder auf den Boden krachen. Es fällt mir schwer mich zu orientieren, fokussiert zu bleiben, ruhig zu sein.

Ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, ich hätte für mich klare Antworten gefunden. Ich wünschte, ich wüsste genau wie ich mich positionieren soll, was ich sagen soll, welche Instagram Posts ich schreiben soll. Ich schwanke zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit und das fühlt sich nicht erwachsen an. So gerne wäre ich ein Fels in der Brandung, dagegen bin ich wie ein Kiesel, der von den Wellen hin und her geschlagen wird.

Diese Lebensphase zeigt mir brutal, dass ich den Gezeiten ausgeliefert bin. Dass ich gar nicht so stark bin, wie ich dachte. Dass ich immer noch viel Menschenfurcht in mir trage. Dass ich nicht so bin, wie ich gerne wäre. Und diese Erkenntnis tut weh.

Nein, ich bin kein Fels in der Brandung. Aber dieser Kiesel – er wird von den Wellen geschliffen, weich gemacht. Er wird von Ecken und Kanten befreit, sein inneres Muster wird sichtbar. Ist es in Ordnung wenn ich mich dem Unwetter unserer Zeit hingebe und Gott einfach sein Werk tun lasse? Auch wenn ich dabei nicht gut ausschaue und scheinbar alles verliere? Vielleicht mein Ansehen, vielleicht meinen Besitz, vielleicht Freunde, Familie, meine Gemeinde, den Hauskreis? Ist es in Ordnung wenn ich mir blaue Flecken hole, weil die Wellen mich auf den Boden schmeißen, ist es in Ordnung einfach nur über diesen Schmerz zu weinen? Kraftlos, haltlos, erkennend, dass ich nichts habe und nichts bringen kann?

Diese Zeit zwingt mich zu einer Bankrotterklärung. Mein ganzer Stolz wird abgeschliffen, meine Errungenschaften wirken lächerlich angesichts dieser globalen Krise…angesichts der Ungerechtigkeiten, gegen die ich nichts ausrichten kann. Denen ich genauso ausgeliefert bin, wie all den anderen Lebensumständen. Ich würde so gerne etwas Schlaues sagen, etwas Entlarvendes, etwas, das die Spötter zum Schweigen bringt. Aber wenn ich meinen Mund öffne, dann ist da eine Leere. Es ist so, als würde Gott mich zum Schweigen bringen. Noch etwas, dass er gerade von mir zu fordern scheint – meine Stimme.

Ich lege alles auf den Altar. Alles. Ja, es ist eine Bankrotterklärung. Ich erkenne: mein christlicher Lebensstil, mein Tagesablauf, mein Alltag – alles, was vor 2020 in Stein gemeißelt schien, war teilweise eine Fassade. Es hat der Krise nicht standgehalten. Gott hat es entlarvt. Es war nicht stark genug, es war nicht heilig genug, es war nicht genug im Feuer geläutert.

Was wenn diese Zeit in der wir stehen, eine einmalige Chance ist, ‚Ja‘ zu dem Feuer zu sagen, durch das Gott uns führen möchte? Was wenn diese Zeit eine einmalige Chance ist die Kirche, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, auf den Prüfstand zu stellen und von Gott beschneiden zu lassen? Was wenn es eben genau so sein soll, dass alles Kopf steht und Gott selbst die Fäden in der Hand hält und diese Zeit nutzen möchte, um seine Kinder, seine Kirche zu läutern?!

Sagen wir Ja?

Oder halten wir uns krampfhaft an allem Alten fest, an allem, was uns das Gefühl gibt, Kontrolle zu haben? An dem, was uns nach außen hin ‚heilig‘ aussehen lässt?

Oh, ich spüre so sehr, so tief, dass Jesus die Tische in unseren Räuberhöhlenherzen umstoßen möchte. Er kann und will nicht länger dulden, dass wir unser Leben kompromissbereit billig der Welt anbieten. Dass wir so wenig begriffen haben was es bedeutet in Nachfolge zu stehen. Dass wir unser Leben so sehr lieben, dass wir vergessen haben was es heißt alles für Jesus zu verlieren.

Wir sind selbstverliebt. Ich bin selbstverliebt. In so vielen Bereichen. Und jedes Mal, wenn mich eine Welle in den vergangenen Jahren umgestoßen hat, spürte ich wie mein Stolz sich aufbäumte und diese Schmach von Haltlosigkeit nur ganz schwer ertragen konnte.

Was würde passieren, wenn wir von den hohen Rössern unserer vermeintlichen Weisheit steigen würden, uns das nehmen lassen, was uns lieb und teuer ist und bedürftig und hilflos wie ein Kind vor Jesus treten würden? Was würde passieren, wenn wir begreifen würden, dass wir wirklich nichts zu bringen haben? Wenn wir uns diesem Schmerz stellen würden, Buße tun, Vergebung aussprechen und uns neu füllen lassen mit dem Heiligen Geist, uns neue Gewänder geben lassen, neu in unsere Berufung treten – ohne Kompromisse, ohne Menschenfurcht, ohne weich gewaschenes Evangelium? Wenn der Löwe von Judah durch uns sein Brüllen in dieser Welt erschallen lässt? Und wir nicht erschrocken zurückzucken, weil es ‚zu laut‘ und ‚zu unangenehm‘ und ‚zu störend‘ klingt?

Ich spüre, wie Gott mich wie einen Kiesel in die Hand nimmt. Mich wiegt, fühlt, vielleicht noch einmal ablegt, weil ich noch nicht die richtige Form habe. Vielleicht brauche ich noch einige Wellen, bis ich geschmeidig genug bin das zu tun, wozu Gott mich berufen hat. Jedes Loslassen, jedes auf-den-Altar legen, jeder Schicksalsschlag modelliert mich mehr.

Eines Tages – das weiß ich – werde ich in einer Steinschleuder liegen. Perfekt geformt. Und einen Goliath zu Fall bringen.

 

 

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